Von Nantes nach Cajen

Nantes – Brest – St. Ma­lo

Donnerstag, 06. August, bis Mittwoch, 12. August 2009; 766 km

Der Radweg am Kanal hält alles was ich mir davon versprochen habe. Er ist nicht geteert, aber trotzdem wunderbar zu befahren. Kurze Anstiege gibt es jetzt nur noch bei den Schleusen und die Hitze wird durch den Kanal etwas erträglicher. Auch der nächste Campingplatz in Blain begeistert mich. Er ist sehr gepflegt. Für die Übernachtung zahle ich gerade mal 3,70 €, unglaublich.

Das heiße Wetter ist am nächsten Tag vorbei, es regnet, teilweise recht heftig, bis in den Nachmittag. Dazu kommt ein Kälteeinbruch.

Der Radweg führt stets am Kanal entlang und ist, wie schon gesagt, fast überall ungeteert. Das Fahrrad und ich verdrecken entsprechend. Die Fahrt im Regen ist sehr einsam, mir begegnen nur ganz wenige Radfahrer. Zur Abwechslung darf ich ab und zu die Kanalseite wechseln. Wenigstens grüßen alle, ob vom Schiff, Fußgänger oder Radfahrer sehr freundlich. Mehr Abwechslung bietet die Strecke nicht. Die schon geschilderten Essensgewohnheiten habe ich beibehalten. Hauptmahlzeiten sind die zwei Croissants zum Frühstück und ein kaltes Abendessen im Zelt. Heute habe ich es in einem Tante-Emma-Laden in Josselin gekauft. Eine ältere Dame bediente. Sie hat die Summe, die ich zu bezahlen hatte, in einem, für mich undurchschaubaren Verfahren, laut berechnet. So etwas habe ich noch nie erlebt. In einigen Gegenden scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.

Die Strecke nach Brest zieht sich. Der Kanal macht jede Mange Krümmungen und Schleifen und der Radweg folgt beharrlich. Eine Ausnahme ist um den Lac de Guerlédan. Hier ist so etwas wie eine bretonische Schweiz, es gilt kräftige Steigungen. Von den Annehmlichkeiten des Kanals ist da nichts mehr zu spüren. Mein Rad habe ich am Vortag nach der Regenfahrt kräftig geputzt. Das macht sich an diesen Stellen richtig bezahlt. Die nächste Übernachtung ist in Gouarec. Der Rasen des Campingplatzes ist vom gestrigen Regen immer noch klatschnass und in der Nacht wird es entsprechend unangenehm kühl. Dafür entschädigt aber die Freundlichkeit des Campingplatzbetreibers.

Am nächsten Tag ernte ich die gestrigen Anstiege mit einer Abfahrt, danach geht es wieder am Kanal entlang, teilweise mit Rückenwind. Den Kanal habe ich aber so langsam satt. Erst der Doubs, dann die Loire und jetzt der Kanal. Ein Fest in Châteaulin hellt meine Stimmung wieder auf. Erst treten bretonische Trachtengruppen auf, dann kenianische TänzerInnen. Und zum Essen gibt es Couscous mit Hammel, Nachtisch und Kaffee. Zur Feierlichkeit des Tages habe ich dann zum zweiten Mal auf der Radtour meinen Bart rasiert. Nachts, im Zelt, passiert mir ein Missgeschick: Beim Aufsetzen der Brille lässt sich ein Brillenbügel schwer bewegen. Dabei bricht der Nasensteg. Ich habe zwar eine Ersatzbrille dabei, aber ohne Gleitsichtgläser und zweifle, ob ich damit bei der Radtour zurechtkomme.

Kurz nach Châteaulin ist am nächsten Tag die Kanalfahrt auch schon zu Ende. Der Kanal ist für Radfahrer ein echter Geheimtipp, mir hat es da besser gefallen als an Doubs und Loire.

Nach Brest sind wieder satte und kurze Anstiege zu überwinden. Auch Brest selbst stellt in dieser Hinsicht große Anforderungen. Die Stadt enttäuscht mich aber. Sie macht einen sehr nüchternen Eindruck. Touristen sind hier am frühen Sonntagnachmittag auch nicht erwünscht, die Touristeninformation ist demonstrativ geschlossen. Ich wollte mich nach dem EuroVelo 1 Radweg nach Roscoff und dem nächsten Campingplatz erkundigen und muss unverrichteter Dinge weiterradeln. Eine Chance, diesen Radweg des EuroVelo-Netzes zu finden, besteht nicht, ich fahre nach zwei Wochen erstmals wieder nach einer Straßenkarte. In Landivisiau, der einzig größeren Stadt im Umkreis suche ich am späten Nachmittag einen Campingplatz. Die Suche gestaltet sich schwierig, da es keinen im näheren Umkreis gibt. Durch die Internetrecherche eines Elsässers finde ich schließlich einen kleinen Campingplatz am See in Plouvorn.

Das Vorderrad macht mir Sorgen. Irgendwas stimmt damit nicht. Zeitweise schleift die Felge geringfügig am Bremsbelag. Das Rad hat aber keinen Achter. Ich bin ratlos. Ein Trost ist die Ersatzbrille. Ich komme damit zurecht.

Am nächsten Tag erreiche ich die Nordküste am Ärmelkanal bei Roscoff. Seit Nantes waren kaum Touristen zu treffen, hier wimmelt es davon. Nach Roscoff führt die Strecke zunächst, landschaftlich schön gelegen, entlang der Rade von Morlaix, später aber in großen Teilen auf einer Landstraße parallel zur Autobahn. Streckenweise ist es schwierig überhaupt einen Weg zu finden, den ich mit dem Rad befahren kann. Dann bleiben nur die kleinen Nebenstraßen und das bedeutet kräftige kurze Anstiege. Am Nachmittag setzt auch noch Nieselregen ein. Ich möchte trotzdem zelten, suche aber vergeblich einen Campingplatz in der relativ großen Stadt Guingamp. Wie sich herausstellt liegt der weit außerhalb, einsam im Wald an einem Fluss, in Pabu. Darauf bin ich natürlich nicht vorbereitet, es ist Schmalhans angesagt. Doch wieder einmal habe ich Glück, denn ein Ire, der mit seinem Sohn in einem Campingmobil als Gast Nr. 3 (ich bin die Nr. 4) hier übernachtet, schenkt mir etwas zum Abendessen und serviert auch noch ein Frühstück. Ich bin ihm immer noch dankbar dafür. In der Nacht regnet es auch noch kräftig. Das Zelt packe ich am Morgen im Regen klatschnass ein.

Jetzt streikt mein Bordcomputer, vermutlich durch die Feuchtigkeit. Ich wechsle trotzdem die Batterien. Um die Mittagszeit trifft mich gleich zweimal das Glück: Es wird ab Langueux plötzlich flacher (nicht flach) und die Sonne scheint. Beides ist wichtig, ich hätte sonst heute nicht mehr campen können. Der Campingplatz in St-Cast-le-Guildo kann kaum kontrastreicher zu dem in Pabu sein. Gestern Regen, heute strahlende Sonne, gestern einsam und fast allein mitten im Wald, heute unter vielen Touristen auf einem voll belegten Platz in einem Touristennest. Ich gehe ausnahmsweise am Abend zum Essen und belohne mich mit einer Spaghetti Bolognese.

Am nächsten Morgen ist der Himmel wieder dick bewölkt und lässt nichts Gutes erahnen. Es klart dann aber zusehends auf und die pralle Sonne scheint. Meist radle ich an den Küstenstraßen entlang. Es gibt da schon ein paar Steigungen, die sind aber sehr moderat, ich kenne andere. Um die Mittagszeit bin ich in Dinard und genieße die Vesperpause auf einer Bank am Strand mit herrlichem Blick auf Saint Malo.

Das Vorderrad hat sich schon wieder ein paar Mal gemeldet. Mir ist immer noch nicht klar was da los ist.


St. Malo – Caen

Mittwoch, 12. August 2009, bis Sonntag, 16. August 2009; 410 km

Am Nachmittag auf der Weiterfahrt zu Le Mont-Saint-Michel verschärft sich plötzlich das Problem mit dem Vorderrad, die Felge schleift stark am Bremsgummi, ein Weiterfahren ist nicht mehr möglich. Die Untersuchung zeigt, dass die Achse enormes Spiel hat. Da ich am Nabendynamo schon montiert habe, kann ich den Schaden mit zwei, an einer Tankstelle geliehenen, Schraubenschlüsseln reparieren. Danach läuft das Rad wieder einwandfrei. Bis zu Le Mont-Saint-Michel habe ich es heute trotzdem nicht mehr geschafft und zelte in Beauvoir. Der Campingplatz ist überfüllt, man schläft dicht an dicht, der Atem der Camper aus dem Nachbarzelt ist zu vernehmen und die Nacht furchtbar. Da ich als einer der letzten mein Zelt dazwischen gezwängt habe entschuldige ich mich am nächsten Morgen mit einer kleinen Flasche Rotwein, die ich den Nachbarn neben ihr Auto stelle.

Der nächste Morgen beginnt mit Nieselregen. Das ist das kleinere Übel. Nach etwa zwei Kilometern, kurz vor dem Mont St. Michel, bricht das Lager in der Vorderachse. Weiterfahren ist nicht mehr möglich, mir ist gleich klar, dass ich ein neues Vorderrad brauche. Was tun? In meiner Not frage ich im nächsten Hotel (Hotel de la Digne, bei dem ich mich an dieser Stelle für die Hilfe nochmals bedanken möchte) nach, ob hier irgendwo ein Radgeschäft sei. Ich habe das unverhältnismäßige Glück an eine deutsche Praktikantin zu gelangen, die sich hier bestens auskennt. Natürlich gäbe es hier kein Radgeschäft, das nächste sei in Pontorson, das ich ja per Bus erreichen könne. Sie bietet mir noch an, Rad und Gepäck im Hotel unterzustellen.
Ich ziehe los zur nächsten Bushaltestelle, mit dem Vorderrad in der Hand. Der Bus kommt erst in einer halben Stunde. Um die Zeit nicht nutzlos verstreichen zu lassen strecke ich den Anhalterdaumen heraus und schon das dritte Auto hält. Ein freundlicher Elsässer bietet mir an, mich nach Pontorson mitzunehmen. Er fährt direkt ins Radgeschäft und verhandelt dort. Es stellt sich heraus, dass ein passendes Rad zwar vorhanden sei, allerdings ohne Nabendynamo. Eine Reparatur des kaputten Rades sei nicht möglich. Da ich lieber ein Ersatzrad mit Dynamo kaufen möchte, frage ich nach dem nächsten Radgeschäft. Das ist in Dol-de-Bretagne. Der freundliche Elsässer fährt mich auch dort hin, der Ort liegt auf seinem Weg. Dort gibt es aber nicht einmal ein passendes Ersatzrad. Ich bin dann bis zum Decathlon in Saint-Jouan-des-Guérets weiter getrampt. Auch dieses Geschäft hat natürlich kein Ersatzrad mit Dynamo. Also habe ich ein einfaches Rad ohne Dynamo gekauft und bin wieder zurück getrampt. Das geht wieder problemlos, ohne Wartezeiten. Trampen mit einem Vorderrad in der Hand ist ein Geheimtipp. Bereits um 14:00 Uhr ist das neue Rad montiert.

Das Wetter am Nachmittag ist immer noch durchwachsen, aber schon ohne nennenswerten Niederschlag. Nach Carolles sind respektable Steigungen zu überwinden. Auf dem Zeltplatz dort geht es dann recht familiär zu. Meine Nachbarn wollen mir Tomaten schenken, was ich aber ablehne, da ich diese nur sehr ungern esse. Sie sind etwas beleidigt. Um mit warmem Wasser duschen zu können, muss eine Münze erworben werden. Das ist jetzt aber nicht möglich, da die Rezeption bereits geschlossen hat. Vom Nachbarn auf der anderen Seite bekomme ich eine solche Münze geschenkt. Auf all das Glück, das mir heute am 13. widerfahren ist, genehmige ich mir zum Tagesabschluss ein kleines Fläschchen Rotwein.

Von Cambernon bis Cherbourg verläuft eine aufgelassene Bahntrasse, die als Radweg ausgebaut ist. Das ist eine willkommene Abwechslung zu den Steigungen an der Küste. Entsprechend schnell komme ich auch voran, habe bereits um 17:00 Uhr die 100 km zurückgelegt und will in Saint-Sauveur-le-Vicomte übernachten. Den Zeitpuffer benutze ich für einen Friseurbesuch.
Das Einchecken auf den Campingplatz gestaltet sich bürokratisch. Für mich werden Kosten von 6,00 € errechnet. Das Ausfüllen der vielen Formulare war schon teurer.

Insgesamt scheint die Normandie aufgeräumter zu sein, als die Bretagne, die Häuser sind irgendwie massiver und alles scheint in Ordnung. Das gilt auch für das Wetter, das sich wieder erholt hat. Am Abend ist der Himmel blau.

Am nächsten Tag löst sich der Nebel erst um 12:00 Uhr auf. Da ich immer noch auf dem Bahndamm fahre, stört er nicht. In Cherbourg finde ich, wie in Brest, keine besonderen touristischen Attraktionen. Beide Hafenstädte machen einen sehr tristen Eindruck. Die anschließende Fahrt an der Küste ist ein Höhepunkt der gesamten Tour. Es ist nicht nur der starke Rückenwind, der mich die enormen Steigungen hochbläst und der Reiz der Landschaft, es reiht sich auch eine Attraktivität an die andere. Die Bilder geben einen kleinen Eindruck davon.

Den zunächst angesteuerten Campingplatz in Quinéville empfinde ich als Zumutung. Ich soll mitten auf dem Platz, quasi auf dem Präsentierteller, zelten. Da die Bezahlung erst am nächsten Tag vereinbart ist, fliehe ich. Der nächstgelegene Campingplatz in Saint-Marcouf macht einen sehr netten Eindruck. Auch die Betreiber sind hier freundlich und zuvorkommend. Diese Erfahrung habe ich fast überall in der Bretagne gemacht. In der Normandie ist das anders.

Am nächsten Tag gibt es kaum noch Anstiege. Dafür wird an den Plages du Débarquement am Nachmittag der Verkehr dicht, es ist nur noch ein zähes Fortkommen. Der erste Versuch, einen Zeltplatz auf einem Campingplatz in Colleville-Montgomery zu finden, gipfelt in einem unverschämten Angebot. Es ist der letzte freie Zeltplatz auf dem Campingplatz „des Salines“. Das Angebot nehme ich erst mal dankbar an. Nachdem ich das Fleckchen gesehen habe, bin ich schon wieder auf der Flucht. Der gesamte Campingplatz ist nicht nur überfüllt und mein Zeltplatz liegt direkt an einer Hauptverkehrsstraße, er wird auch von den Anliegern für sachfremde Zwecke missbraucht. Es war nicht schwer, einige Hinterlassenschaften und das zugehörige Klopapier zu entdecken. Ich bin jedenfalls weitergeradelt und habe schließlich auf dem Campingplatz Muncipal des Pommiers in Ouistreham eine passende Übernachtungsmöglichkeit gefunden.