Von Altefähr nach Olbernhau

Donnerstag, 05. August, bis Samstag, 14. August 2010; 998 km

Trotz der engen Verhältnisse auf dem überfüllten Campingplatz in Altefähr ist es in der Nacht ruhig. Da hat wirklich jeder Rücksicht auf den Anderen genommen. Ich habe bestens geschlafen.

Rügen ist kein Radfahrparadies. An vielen engen und oft überfüllten Hauptverkehrsstraßen gibt es überhaupt keine Radwege. Und viele der vorhandenen Radwege sind Holper- oder ungeteerte Feldwege. Abseits von Straßen finde ich aber auch ein paar tolle Radwege, das ist dann Natur pur.

Der Wind kommt heute aus Osten. Es ist wärmer und hat eine hohe Luftfeuchtigkeit. Zum Radfahren ist das Wetter ideal.

Die nächste Übernachtung ist auf dem Campingplatz Zudar/Pritzwald. Bei der Anmeldung frage ich, wo ich eine überflüssige Pfandflasche entsorgen kann. Der Herr an der Rezeption übernimmt sie bereitwillig. Als Kompensation bietet er mir eine saure Gurke aus seinem Brotbehälter an. Ich gehe natürlich gerne auf den Tauschhandel ein.

Heute habe ich schon wieder keine „feste“ Mahlzeit zu mir genommen. Ich will in der Wirtschaft auf dem Campingplatz, die auf meiner Karte verzeichnet ist, zu Abend essen. Zu meiner Enttäuschung ist diese Wirtschaft geschlossen. Trotzdem habe ich Glück. Es gibt noch ein kleines Lebensmittelgeschäft auf dem Campingplatz, das geöffnet hat. Unter den strengen Augen der Verkäuferin erstehe ich die Waren für mein Abendessen.

In der Nacht ist es auf dem Campingplatz absolut still. Nur Windgeräusche sind zu vernehmen. Bei Windstille wird der eigene Atem so laut, dass er beim Einschlafen stört. Stadtbewohner sind lärmgeschädigt.

Die Fahrt von Reinsberg bis Stralsund ist für die Laufbahn jedes Radfahrers ein Höhepunkt. Parallel zur neuen, geteerten Straße verläuft die grob gepflasterte, alte Landstraße. Das ist ja weiter nicht schlimm, wäre da nicht für die geteerte Straße eine Mindestgeschwindigkeit von 30 km/h vorgeschrieben. Die 20-Kilometerstrecke mit dem Rad auf dieser holprigen alten Landstraße ist reine Zumutung. Ich jedenfalls kann die vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeit auf der geteerten Straße halten, werde aber mehrmals von Autofahrern angehupt, auf die Holperpiste verwiesen und spüre eine leichte Feindschaft gegenüber Radfahrern. Vom Befahren der geteerten Straße lasse ich mich nicht abhalten.

Für diese Strapaze entschädigen dann die Radwege auf der Insel Usedom. Die Insel ist im Gegensatz zu Rügen ein kleines Radfahrparadies.

Am Abend bin ich in Ahlbeck mit Hausnachbarn verabredet. Nach kurzem Flanieren an der Seepromenade treffe ich sie in einer Pizzeria. Um 21:00 Uhr, mit Dämmerungsbeginn, breche ich zur Fahrt auf den Campingplatz in Korswandt auf. Die Fahrt ist anstrengend, es liegt ist ein recht hoher Berg dazwischen. Auf dem Campingplatz ist die Hölle los. Man feiert eine Party. Neben meinem Zelt ist eine Bank. Auf der sitzen zwei Kerle, lassen ihren CD-Player laut spielen und unterhalten sich angeregt dazu. An Schlaf ist nicht zu denken. Die Nacht in Korswandt ist furchtbar. Gegröle, laute Musik und Unterhaltung. Der Campingplatzbetreiber schreitet erst um 01:30 Uhr ein. Das gelingt auch nicht auf Anhieb. Erst nach mehreren Drohungen mit der Polizei und mit einem Platzverweis kehrt allmählich Ruhe ein. Endlich haben auch die beiden Kerle auf der Bank ein Einsehen und gehen zu Bett.

Das Frühstück auf dem Campingplatz in Korswandt nehme ich in einer Bretterbude ein. Die hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht viel verändert. Zu meckern gibt es aber nichts. Das Frühstück ist gut, Sonderwünsche werden erfüllt. Man kann auch eigene Sachen, wie Butter und Marmelade, mitbringen und den Rest dort kaufen.

Der Radtacho samt Bordcomputer sind gestern ausgefallen. Die Batterien sind leer. Irgendwann werde ich an einem Laden vorbeifahren, der mir Ersatz verkauft. Das kann erfahrungsgemäß recht lange dauern.

An Bord der Anklamer Fähre verlasse ich Usedom und befinde mich nach ein paar Kilometern im Naturschutzgebiet Polder Rosenhagen. Dort laden ausgedehnte Rad- und Wanderwege zum Entspannen ein. Dieses Gebiet ist eine eigene Reise wert.

Der Landkreis Uecker-Randow erweist sich als sehr dünn besiedelt. Es gibt viele weite Wälder und Wiesen, das Radfahren wird hier kaum durch Autos gestört.

Am Nachmittag beginnt es leicht zu regnen. Ich fange an, ein Zimmer zu suchen. Auf Anhieb finde ich in Pampow eine ganze Ferienwohnung für 15 € die Nacht. Die wird über Ein-Euro-Jobs bezuschusst. Ich schlage natürlich zu, wasche Wäsche, rasiere mich, lade das Handy auf, trockne meine feuchten Sachen und schlafe nach der letzten, unruhigen Nacht mal so richtig aus. Das Abendessen wird in der gegenüberliegenden Wirtschaft serviert. So recht will mir das Hähnchenschnitzel nicht schmecken. Die Wirtin setzt sich zu mir. Wir unterhalten uns über Radfahrer, die hier ab und zu vorbeikommen.

Es regnet die ganze Nacht, am nächsten Morgen will es nicht aufhören. Ich setze mich trotzdem aufs Rad und fahre los, weil es angenehm warm ist und nur leicht regnet. Die frisch gewaschenen Radklamotten verstärken das wohltuende Gefühl.

Der Radweg führt nach einem kurzen Stück an der Oder am Kanal entlang. Die Fahrt verläuft recht ereignislos. Das Aufregendste sind noch die Irrfahrten zwischen Mescherin und Gartz. Die Strecke bin ich drei Mal gefahren, da die Beschilderung nicht eindeutig ist. Hier herrscht eine ganz andere Atmosphäre als auf den Inseln. Es ist viel ruhiger und „gedämpfter“, das Leben geht eben so seinen gemächlichen Gang.

Das Glanzlicht heute ist eindeutig der Campingplatz in Stolzenhagen. Dieser liegt sehr idyllisch und abgelegen von allen Verkehrsströmen am Fuß eines Berges unmittelbar an dem engen Kanal. Wenn da ein Schiff vorbeifährt sieht es aus wie im Spielzeugland.

Ich esse beim Imbiss auf dem Campingplatz. Dort treffe ich einen Radler, der auch auf dem Campingplatz zeltet und sich unmittelbar neben mich setzt. Er sagt es sei sein Stammplatz. Wir unterhalten uns über das Radfahren im Allgemeinen und die Auswirkungen des Alters auf die Kondition und Knochen. Wenn seine Erfahrungen auch für mich zutreffen sollten, verheißt das nichts Gutes.

Am Abend wird es richtig kühl. Zudem habe ich Durchfall. Ich muss alle Klamotten anziehen, die ich dabeihabe, um nicht so stark zu zittern. Im Schlafsack wird es dann bald einigermaßen warm.

Kurz nach Stolzenhagen führt der Radweg tatsächlich ein längeres Stück an der Oder, in Teilstücken sogar auf dem Deich, entlang. Hier ist es landschaftlich sehr eindrucksvoll.

Viele Leute fragen mich, woher ich komme und wohin ich fahre. Ich erzähle es mit Stolz. Bei Groß Neuendorf führt zudem das Fremdenverkehrsbüro eine Befragung unter den Radtouristen durch. Auf die Frage, wo ich meine Tour begonnen habe und wo ich sie beenden werde, antworte ich wahrheitsgemäß. Die Frau schreibt es erst nach mehrfachem Nachfragen auf. Die Antwort passt nicht so richtig auf ihr Formblatt. Bald lässt das landschaftliche Erlebnis wieder nach. Der Weg führt abseits der Oder durch den Bruch.

Den Oder-Radweg bewerte ich mit gut bis sehr gut. Die übrigen Radwege, von der Ostsee bis hier, mit befriedigend bis ausreichend. Insbesondere stört mich die oft sehr grobe Pflasterung.

Frankfurt (Oder) glänzt mit seinen Bauruinen und unbebauten Grundstücken. Eine große Fläche vor einer Schule ist ein Biotop. Da ließe sich ohne große Kosten sicherlich mehr gestalten. Übernachtet habe ich in der Pension Senftleben. Die Pension liegt idyllisch, ruhig und etwas abseits, ist aber sehr radfahrerfreundlich und verlangt 29 €. Dafür gibt es auch noch ein wunderbares Frühstück.

Die Fahrt am heutigen Tag zwischen Frankfurt (Oder) und Döbern ist ein weiterer Höhepunkte der Reise. Es beginnt schon mit dem erwähnten Frühstück. Kurz nach Frankfurt kommt allerdings ein kleiner Dämpfer: eine Umleitung mit längerem Anstieg. Später bittet mich eine Frau, die mit ihrer Tochter in Gegenrichtung auf Radtour ist, einen Schlüssel, den sie aus Versehen mitgenommen hat, ins Bauernstübchen in Aurith zurückzubringen. Zur Belohnung spendiert man mir dort, ich habe einen Wunsch frei, ein Eis.

Die Regengüsse der vergangenen Tage und ein Dammbruch in Polen haben die Oder und die Neiße kräftig anschwellen lassen. In Ratzdorf (Neiße-Mündung) begegne ich dem Ministerpräsidenten Platzeck, der sich die Deiche und das viele Wasser anschaut. Die Begegnung kommt völlig überraschend. Am Wegesrand steht ein einsamer Polizist, bei dem ich mich erkundigen will, ob ich trotz des Hochwassers an der Neiße entlangfahren darf. Eine brauchbare Auskunft erhalte ich zwar nicht, werde aber aufgefordert auf dem schmalen Weg für einen Mercedes Platz zu machen, obwohl das Auto auch einen halben Meter ausweichen könnte. Dem Auto entsteigt dann der Ministerpräsident, der sich bereitwillig ablichten lässt.

Bald darauf treffe ich einen Radfahrer, der mich (oder ich ihn) über fast 30 km, bis Forst, begleitet. Wir sind schnell gefahren und haben uns über alles Mögliche unterhalten. Das Tempo hätte ich alleine nie gehalten.

Ab Klein-Bademeusel gibt es kein Weiterkommen entlang der Neiße. Der Weg ist unter Wasser und teilweise mit Hochwasserbarrieren abgesperrt. Ich weiche auf die Straße zwischen Bahren und Zelz aus. Ab Zelz muss ich mangels Alternative die, parallel zur Neiße verlaufende Straße, verlassen und radle über Jerischke nach Döbern. Dabei treffe ich wieder einen Radfahrer. Wir begleiten uns bis Jerischke. Die Frage, ob er auch in Polen mit dem Rad fährt, verneint er. Als Begründung gibt er sybillinisch „Vorkommnisse“ an.

Zufällig gelange ich an das Hütten-Camp in Döbern-Eichwege. Dort miete ich mir eine ganze Hütte für die Nacht. Zu Abend esse ich im Deutschen Haus in Döbern. Ein hervorragendes Essen (Gourmet-Klasse) zu Kampfpreisen. Wie gesagt: was für ein Tag!

Das Radfahren heute bereitet Mühe, eine Folge der gestrigen Anstrengungen. Ab Bad Muschkau ist der Neiße-Radweg, bis auf ein kurzes Stück bei Sagar, zwar noch gesperrt, aber trotzdem befahrbar. Der Weg führt, teilweise weit ab vom Fluss, durch eine hügelige Landschaft. Das Radeln ist anstrengend, dazu kommt noch die schwüle Wärme. Ich quäle mich zusehends und bereite dem in Görlitz ein Ende. Die Wasserschäden scheinen hier und noch weiter südlich größer zu sein. Mal sehen wie ich da durchkommen werde und ob die Lust zum Radfahren wieder steigt.

Im Gästehaus Lisakowski finde ich ein preiswertes und gutes Zimmer. Auf mein Drängen gibt man mir sogar ein Zimmer zum Hof.

Ich habe relativ viel Zeit mir Görlitz anzuschauen. Neben den wunderbar renovierten alten Häusern fallen die vielen unbewohnten und verkommenen ins Auge. Die Stadt hinterlässt einen etwas entvölkerten Eindruck.

Zwischen Görlitz und Zittau sind nur mäßige Steigungen. Dann wird es heftig, es geht ständig auf und ab, teilweise bis zu 10 %. Südlich von Görlitz hat die Neiße recht große Zerstörungen angerichtet.

Im Bahnhof Bertsdorf gibt es eine Dampflock zu besichtigen. Ich bin alleine auf dem Bahnsteig und fahre mit dem Rad. Sofort werde ich vom Aufsichtspersonal aufgefordert, vom Rad zu steigen und auf dem Bahnsteig mein Rad zu schieben. Das stößt bei mir auf Unverständnis, zumal ich der Einzige auf dem Bahnsteig bin. Man kennt aber kein Pardon. Ich füge mich, das ehrenamtliche Bahnpersonal strahlt eine Strenge aus, die keine Übertretungen zulässt.

Die Auswirkungen des Hochwassers sind im Elbsandsteingebirge noch schlimmer. Dort haben über die Ufer getretene Flüsse große Zerstörungen angerichtet. Zu allem Überfluss setzt in Neustadt auch noch Starkregen ein. Ich flüchte in ein Café. Der Inhaber gewährt mir großzügig Unterschlupf und schlägt dann vor, doch in der angrenzenden Pension zu übernachten. Ich lehne das ab und fahre bei nachlassendem Regen wieder los. In Sebnitz will ich mir eine Unterkunft suchen, kann aber nichts finden. Man gibt sich auch keinerlei Mühe, ein armer Tourist, wie ich es bin, ist dort uninteressant. Also radle ich weiter. Nach einem weiteren Anstieg bin ich in Lichtenau. Dort ist es kein Problem ein Zimmer zu finden. Ich quartiere mich bei einem Ehepaar ein, das Zimmer vermietet. Die Handtücher haben diesen eigenartigen DDR-Geruch, den ich auch aus Zügen kenne und nicht vergessen kann, vielleicht das Waschmittel. Ein Hauch von Nostalgie umgibt mich, die sanitären Anlagen scheinen einige Jahrzehnte alt zu sein, Handy-Empfang ist auch nicht möglich.

Die Steigungen sind heute kräftig, bereiten mir aber keine Probleme. In mäßigem Tempo komme ich überall gut hoch.

Um Bad Schandau herum ist einiges durch das Hochwasser zerstört, die Kirnitzschtalstraße ist leider nicht befahrbar. Auf den Abschnitt habe ich mich besonders gefreut, leider muss ich ihn umfahren.

Auch die Bielatalstraße ist gesperrt. Dort hat es eine Brücke weggerissen, die aber schon wieder im Bau ist. Mit dem Rad habe ich keine Probleme, die neue Brücke zu benutzen. Dann werden die Steigungen deftig. Nach Breitenau gibt es einen längerer 14 % Anstieg, der in Breitenau noch zunimmt. Die letzten 200 m muss ich, entgegen aller Gepflogenheiten, schieben.

Den ganzen Tag ist es wolkenverhangen und ziemlich kühl. Es regnet aber keinen Tropfen. Aufwärmen kann ich mich immer wieder an den Steigungen. Das Erzgebirge macht einen ganz anderen Eindruck als Landschaften an Oder und Neiße. Fast alle Häuser sind intakt und gepflegt. Spuren der DDR-Vergangenheit kann ich kaum entdecken.

Nach mehrmaligem Nachfragen finde ich den Gasthof Dittmannsdorf in Pfaffroda. Ich hätte es nicht besser treffen können, der Gasthof ist modern eingerichtet und sehr gepflegt. Es gibt bodenständige Hausmannskost zu günstigen Preisen.

Das schlechte Wetter begleitet mich nun schon seit Tagen und die Wetterprognose verheißt nichts Gutes. Am nächsten Morgen beschließe ich die Radtour abzubrechen. Gleich in Olbernhau ist ein Bahnhof. Als ich dort eintreffe steht auch schon der Zug nach Chemnitz abfahrbereit auf dem Gleis.

In Chemnitz kaufe ich mir eine Fahrkarte für 43,50 € (einschließlich Fahrrad) bis nach Freiburg, das Schönes-Wochendende-Ticket. Um 11:57 Uhr verlassen wir den Bahnhof, um 22:18 Uhr bin ich schon in Freiburg. Die Bahn hat sich hier, was sehr selten ist, ein dickes Lob verdient: preiswert, schnell und zuverlässig.