Von Klanxbüll nach Altefähr

Mittwoch, 28. Juli, bis Mittwoch, 04. August 2010; 829 km

Die Nacht auf dem Campingplatz in Klanxbüll ist sehr unruhig. Ursache hierfür sind vermutlich Windräder, die den Schlaf erheblich stören. Gesehen habe ich keines, dafür ist es zu diesig.

In der Nacht und am Morgen fallen ständig Regenschauer. So um 08:00 Uhr packe ich in einer Niederschlagspause meine Sachen zusammen. Die Frau, die hier alleine übernachtet hat, auch. Durchnässt morgens loszufahren gehört zu den Höchststrafen einer solchen Radtour und bedarf einiger Überwindung.

In Klanxbüll gibt es einen Bahnhofsbäcker, bei dem ich frühstücke. Dort kann ich auch ein bisschen meine klammen Radklamotten am Körper trocknen.

Der Zug nach Sylt fährt verspätet ab. Zusammen mit den zusätzlichen Aufenthalten auf der Strecke summiert sich die Verspätung auf 40 Minuten. In der Zeit hätte ich den Hindenburgdamm auch mit dem Fahrrad passieren können. Aber das ist ja nicht erlaubt, schließlich würden da Einnahmen bei der Bahn wegbrechen.

Das schlechte Wetter begleitet mich auch auf Sylt. Ich habe einige Schauer zu überstehen. Die Dünenlandschaft von Sylt, durch die der Radweg von Westerland nach List führt erinnert mich an eine Hochgebirgsebene in etwa 2000 m Höhe. Es ist ein herrlicher Landstrich der Natur. In Kampen suche ich einen Bäcker. Trotz Nachfrage kann ich keinen finden. Dafür bietet der Ort ungebührlich viele Einkaufsmöglichkeiten für Luxusartikel. In List versuche ich den zweiten Stempel für meinen Zipfelpass zu erhalten. Man verlangt die Vorlage einer Kurkarte. Da ich diese nicht vorlegen kann ist die Zustimmung des Kurdirektors erforderlich. Der ist bereit, eine Ausnahme zu machen, wie mir mehrfach und eindringlich erklärt wird. Ich verlasse das Kuramt mit dem Gefühl etwas Ungeheuerliches verlangt zu haben.

Die Fähre nach Rømø liegt, trotz leichtem Seegang, wie ein Brett auf dem Meer. Mit mir auf der Fähre sind einige Dutzend andere Radfahrer, die offenbar eine Tagestour unternehmen und ständig an der Bar sitzen. Die Fahrt auf dem ca. 10 km langen Damm, der Rømø mit dem Festland verbindet, ist, nicht nur wegen des sehr starken Rückenwinds, ein besonders schönes Erlebnis. Hier stört auch kein Bahnmonopol.

Ich übernachte auf dem Campingplatz in Skærbæk. Der macht auf mich in mehrfacher Hinsicht einen sehr guten Eindruck. Es ist der beste Campingplatz der gesamten Tour, trotz der grünen Marke, die ich für einen Campingtagespass käuflich erwerben muss. Der Campingplatzbetreiber begründet diesen Pass mit dem Schengen-Abkommen und ich stelle mir die Frage, warum ich nur in Dänemark mit diesem Pass in Berührung komme.

Etwas außerhalb von Skærbæk liegt das Grilllokal „Perlen“ in dem ich auf Empfehlung von Campinggästen zu Abend esse. Das Lokal ist ein Glückstreffer: viel und gut!

Am nächsten Tag radle ich mit viel Rückenwind durch eine dünn besiedelte, karge Landschaft in Richtung Ostsee. Für etwas Abwechslung sorgt ein Schäferhund, der knurrend und bellend aus einer Hofeinfahrt auf mich zu rennt. Ich schreie ihn an und er hält gebührend Abstand. Aus der kurz danach folgenden Einfahrt kommt ein Landwirt, der etwas Unverständnis für mein Schreien zeigt und den Hund zurückpfeift. Der Hund war wirklich harmlos, das weiß ich aber erst jetzt.

Bei „Rad ab“ in Flensburg sind, nach längerer Suche, tatsächlich die Kettenblätter, die ich benötige, aufzutreiben. Das mittlere ist zwar nicht auf Lager lässt sich aber von einem Ausstellungsstück abmontieren. Mein Auftrag kommt dem Geschäft nicht gerade gelegen, es ist die Hölle los und man will mich erst morgen bedienen. Schließlich gestattet man mir doch in Eigenarbeit, unter Anleitung und Aufsicht eines Monteurs, die Kettenblätter vor dem Geschäft im Regen zu wechseln. Dafür blättere ich dann 80 € hin, bin aber unendlich glücklich und dankbar, dass das Rad jetzt wie ein neues fährt. Viel Glück ist auch dabei, in Flensburg beginnen wieder steile Anstiege an denen ich die neuen Kettenblätter sofort einem Praxistest unterwerfe. Diese Anstiege sind vermutlich auch der Grund, aus dem solche Blätter hier überhaupt nachgefragt werden, an der Westküste von Schleswig-Holstein konnte ich sie jedenfalls nicht auftreiben. Trotz der vielen Schauer, des Windes und der Temperaturen von höchstens 20 °C erreiche ich wohlbehalten den Campingplatz in Glücksburg. Als Zugeständnis an dieses Wetter bin ich heute mit Socken in meinen SPD-Sandalen geradelt. Nicht schön anzuschauen, aber praktisch.

Die ganze Nacht pfeift der Wind um das Zelt. Am Morgen sieht es wieder nach Regen aus, der hält sich aber zunächst zurück. Mit einem Riesenhunger frühstücke ich drei belegte Brötchen und ein Croissant.
Die Strecke ist zunächst recht anspruchsvoll. Es sind einige steile Hügel zu erklimmen und der Wind, teils Gegenwind, teils Rückenwind, weht gnadenlos. Das macht Hunger und in einem Supermarkt verspeise ich zwei weitere Stück Kuchen und ein Baiser. Dort treffe ich auch auf eine tschechische Radgruppe, die Bier trinkt. Die hängen recht lust- und teilnahmslos herum, es scheint nicht ihr erstes Bier zu sein.

In Eckernförde regnet es wieder. Ein Österreicher zettelt mit mir eine Unterhaltung an und lädt mich schließlich zu einem Kaffee zu sich ein. Das habe ich abgelehnt. Am späten Nachmittag spendiere ich mir einen Kaffee mit zwei weiteren Kuchenstücken. Je weiter ich mich von Flensburg entferne, desto besser wird das Wetter. Flensburg war wirklich ein Tiefpunkt. Am Abend in Kiel reißt der Himmel nach Tagen auf. Es ist noch kalt, aber immerhin gibt es ein paar Sonnenstrahlen. Ich speise im „El Mövenschiss“ und begebe mich dann auf dem naheliegenden Campingplatz in Kiel-Falkenstein zur Ruhe.

So stolz, wie die Westseite von Kiel daherkommt, so glänzt die Ostseite mit innerstädtischen Biotopen und trostlosen Industrieflächen.

Erfreulicherweise ist es wärmer geworden und ich fahre wieder ohne Socken. Selbst am Abend reicht jetzt eine kurze Hose.

Radfahren an der Ostsee ist viel interessanter als an der Nordsee. An der Ostsee fährt man nicht so häufig hinterm Deich. Die sind hier teilweise erst im Hinterland. So habe ich meist freie Sicht aufs Meer.
Der Weg heute führt über ein paar Schotterpisten durch Naturschutzgebiete. Moderat geht es ständig auf und ab. Eigentlich ideal, wenn nicht ein Gegenwind aus Süd-Ost wehen würde. Unterwegs habe ich zwei Radlerinnen überholt, die für etwas Abwechslung sorgen. In einer Pause haben sie mich wieder überholt und ich habe sie dann noch ein drittes Mal in Hochwacht getroffen.

Auf dem Campingplatz in Johannistal bei Gremersdorf geht es hoch her. Man hat heute zur Disco geladen. Zunächst habe ich im Campingrestaurant Schweinemedaillons zum Abend gegessen, wieder viel und gut! Bis 01:40 Uhr wird die Disco in einer Lautstärke betrieben, die keinen Schlaf zulässt. Dann wird der Lärmpegel etwas reduziert und ich kann endlich einschlafen.

Über den Lärm und die Auswüchse beschwere ich mich am nächsten Tag bei der Rezeption. Die haben nicht das geringste Verständnis für mein Anliegen, wo doch viele Besucher von weit her, extra wegen dieses Festes, kämen.

In Schleswig-Holstein sind viele Geschäfte auch am Sonntag geöffnet. Das war mir nicht bekannt. Erfreulich ist auch, dass etwa ab Heiligenhafen das Preisniveau um 10-20 % sinkt.

Vor allem ist es heute nicht mehr so hügelig und der Wind kaum spürbar. Es geht trotzdem immer noch leicht auf und ab und regnet mehrmals.

Mein Zelt stelle ich auf dem Campingplatz Margarethenhöhe bei Pönitz am See im Regen auf. Die Dauercamper aus Schleswig-Holstein, die nebenan unter ihrer Zeltplane vor dem Wohnwagen sitzen, lassen mich sprichwörtlich im Regen stehen, schauen interessiert zu, reden aber kein Wort mit mir. Sie lassen sich nicht einmal grüßen, ich bin aus Luft für sie. Überhaupt kostet es hier etwas Mühe eine kleine Unterhaltung zustande zu bringen. Die Leute sind einfach kühl und wortkarg, oder sind das Vorurteile?

In der Nacht regnet es kräftig, sonst ist es auf dem Campingplatz, im Gegensatz zum letzten, mucksmäuschenstill. Am Morgen kann ich wieder einmal das nasse Zelt einpacken. Die Nachbarn sehen zu, ich versuche sie zu ignorieren. Meine Radklamotten habe ich gestern gespült. Die sind heute natürlich noch ziemlich nass. Ich ziehe sie trotzdem an und nachdem ich mich an sie gewöhnt habe, kühlen sie ein paar Stunden angenehm. Der Tag verläuft wieder ereignislos. Etwas aus dem Rahmen fallen die noblen Orte Timmendorfer Strand und Travemünde. Dem dortigen Lifestyle und Edelshopping bin ich schnell entflohen.

Das Hinterrad eiert. Eine genaue Untersuchung zeigt, dass die seitliche Mantelfläche porös ist. Die Reifen sind ziemlich neu und haben nicht mal 3.000 km gehalten. In Wismar kaufe ich mir einen neuen Reifen. Der dortige Fachmann erklärt, dass der mangelnde Reifendruck an dem vorzeitigen Verschleiß schuld ist. Ich erstehe also noch einen Adapter um die Sclaverand-Ventile an eine Luftpumpe für Autoreifen anschließen und so richtig Druck im Reifen machen zu können.

Tagsüber habe ich fast nichts gegessen. Das hole ich im Restaurant auf dem Campingplatz Boiensdorfer Werder nach. Der Campingplatz ist große Klasse. Dort gibt es nicht nur Geschnetzeltes, die Übernachtung ist auch äußerst preiswert, gerade mal 5 €. Vor Einbruch der Dunkelheit gelingt es mir gerade noch den Reifen zu wechseln.

In der Nacht gehen gewaltige Regengüsse nieder. Das Prasseln der Regentropfen an die Zeltwand verbreitet im Zelt eine heimelige Stimmung. Ich wälze mich auf die andere Seite und schlafe wieder ein. Um 08:00 Uhr hört der Regen auf. Alles ist klatschnass. Ich packe trotzdem zusammen und hoffe, dass das Wetter besser wird. Ansonsten muss ich mir für die nächste Nacht ein Zimmer nehmen, um die Sachen zu trocknen. Auf dem Campingplatz in Boiensdorfer Werder gibt es einen kleinen Laden. Der verkauft morgens die Zutaten für ein Frühstück. Dieser Campingplatz hat mich restlos überzeugt.

Bei ruhigem Wetter geht es weiter auf dem Ostseeradweg durch eine leicht hügelige Landschaft. Der Weg ist teilweise ungeteert, einige besonders reizvolle Abschnitte führen durch Wälder unmittelbar an der Küste.

Meine beiden Räder sind jetzt mit 5 bar aufgepumpt, das Rad läuft ausgesprochen gut. Trotzdem habe ich am Nachmittag nach nur 90 km keine Lust mehr und baue auf dem Campingplatz bei Dierhagen mein Zelt auf.

So um 5:00 Uhr beginnen wieder Platzregen, die auch wieder um 08:00 Uhr aufhören. Wie gewohnt packe ich das klatschnasse Zelt ein und hoffe auf Besserung. Ein Paar, das gegenüber gezeltet hat, ergreift sofort Besitz von meinem Platz. Die Beiden haben Wanzen geplagt.

Der Radweg verläuft nah am Ufer, entlang der Bodden, teilweise sind es sehr schöne naturbelassene Wege. Zwischen Pressow und Barth sind die Radwege erstaunlich viel befahren. Ein Überholen ist wegen des Radverkehrs gar nicht möglich. Den Radweg entlang des Grabower Boddens empfinde ich am schönsten. Über weite Strecken führt da ein gut ausgebauter Radweg auf dem Deich entlang.

Eine Auswahl an Campingplätzen auf Rügen habe ich nicht. Es bleibt nur der Platz in Altefähr. Als ich ankomme ist die Liegewiese restlos überfüllt. Wir liegen dicht an dicht. Auffallend ist, dass wenige der Radfahrer, die nach mir eintreffen, duschen. Die scheinen nicht zu schwitzen, egal. Einer grillt in einer Bratpfanne eine Wurst. Das verbreitet einen verlockenden Duft.