Von Burgkunstadt nach Chamerau

Dienstag, 16. August bis Dienstag, 23. August 2011; 745 km

Bis zum 15.08. ist alles formatiert und korrigiert. Ich sitze wieder mit einem Quer-durchs-Land-Ticket im Zug und lasse mich nach Burgkunstadt bringen. Das klappt, wie die Heimfahrt, problemlos. Dafür möchte ich die Bahn wieder mal ausdrücklich loben. Auf das zurückgelassene Gepäck und das Rad hat der Hotelier gut aufgepasst, beides ist vollständig und tadellos. Das Hotel hat seine „Drei Kronen“ verdient.

Am nächsten Morgen ist es neblig und unangenehm feucht. Der Nebel löst sich erst gegen 11:00 Uhr auf. Dieser Nebel zeigt Spätwirkung. Ich verpasse den Abzweig des Main-Saale-Radwegs und fahre auf dem Main-Radweg über Bad Berneck bis Glasmühle einen Umweg. Dort geht es dann auf dem Saale-Radweg weiter. Die Radwege sind hier etwas dürftig beschildert. In Gefrees frage ich deshalb im Rathaus nach dem Verlauf des Radwegs. Dort ist man überrascht, dass durch den Ort ein Radweg verlaufen soll. Der Radweg selbst stellt so einige Anforderungen. Er ist teilweise ein Wanderweg, der nicht ganz ungefährlich zu befahren ist. Bis Hof treffe ich auch auf keinen einzigen Radtouristen.

Der Hofer an sich ist fahrradfreundlich. Schon am Ortseingang komme ich mit einem Herrn ins Gespräch, der mir ein Hotelzimmer im Zentrum vermitteln will. Das lehne ich, trotz der verheißungsvollen Andeutungen, ab; das Zimmer soll stolze 49 € kosten. Stattdessen frage ich nach dem Weg nach Joditz, dort ist ein Campingplatz. Ein anderer Radfahrer begleitet mich durch die Stadt und zeigt mir den Weg von Oberkotzau bis Unterkotzau.

In Saalenstein weist ein winziges Schild auf eine Campingmöglichkeit auf einem Bauernhof hin. Auf Nachfrage bestätigt dies die Bäuerin und serviert eine deftige Brotzeit. Auch das Wetter hat jetzt Erbarmen. Den ganzen Tag ist es bewölkt und kühl. Am Abend reißt der Himmel auf.

Auf so einem Bauernhof gibt es zum Frühstück deftige Speisen, wie Blutwurst und Leberwurst. Das ist kalorienreich und, wie sich zeigen wird, dem heutigen Kalorienverbrauch angemessen. Die Tour beginnt mit einer kurzen Abfahrt. Der anschließende Anstieg hat eine Steigung von rund 10 %. Das wäre weiter nicht schlimm, wiederholt sich aber heute sehr oft. Der RadwanderwegBayreuth – Chemnitzist nicht ganz ohne. Obwohl ich ihn den ganzen Tag abfahre, treffe ich, bis auf eine größere Frauengruppe an der Talsperre Pöhl, auf keine Radtouristen. Ich nehme das locker und sehe es als fortgeschrittenes Aufbautraining.

Das Wetter ist viel angenehmer als gestern, es ist kaum bewölkt und vor allem etwas wärmer. Am Pöhl Stausee merke ich, dass ich viel zu wenig trinke, ein extremer Wassermangel macht sich, auch wegen der starken Steigungen, urplötzlich bemerkbar. Der Campingplatz Gunzenberg kommt gerade recht. Dort kann ich meine Wasser-Reservoirs auffüllen.

In Zwickau vermittelt die Touristeninformation mir gleich eine ganze Wohnung in der Trillerstraße. Auf Bitten erhalte ich dort auch ein Frühstück. Zu Abend wird beimVogelsiedlergespeist. Der Kellner verabschiedet mich mit dem Wunsch auf ein baldiges Wiedersehen. Ich antworte, dass das nicht so schnell passieren würde und versuche dann die versehentliche Unhöflichkeit mit der Bemerkung, dass ich Süddeutscher sei, zu entschärfen. An dem Lokal habe ich wirklich nichts auszusetzen, im Gegenteil: Es hat ein Lob verdient.

Die Nacht in der PensionFuhrmannist außergewöhnlich erholsam. In dem Haus ist es mucksmäuschenstill. Wie abgesprochen^ ist das Frühstück um 08:00 Uhr da und lässt ebenfalls keine Wünsche offen.

Der Radweg führt zunächst locker an der Mulde entlang. Bald muss ich den Fluss verlassen und gleich beginnen wieder die steilen Anstiege und Abfahrten. Irgendwo zwischen Glauchau und Hohenstein-Ernstthal sind wegen des Autobahnneubaus die Radwege noch im Bau und schlecht beschildert. Ich komme vom Weg ab und treffe mitten im Wald einen Mann, der Holz macht. Wir kommen ins Gespräch und er erzählt mir von der guten Zeit mit Honecker und von seinem aktuellen Leid. Er hält sich für einen der zu kurz Gekommenen. Wie aus einer anderen Welt.

In Chemnitz gilt mein maximales Interesse dem Karl-Marx-Monument. Der Nischel hinterlässt eine bedrückende Stimmung.

Es geht weiter entlang von Trekking-Pfaden. Etwas Besonderes ist die Überquerung des Katzenbergs. Dort ist ein ausgewiesener Radweg in Wirklichkeit ein Wanderweg, der dann auch noch in einem Feld endet. Über einen Reitweg gelange ich wieder auf eine geteerte Straße. Nach kurzer Abfahrt und Erholung beginnt der Aufstieg zur Augustusburg. Mit Ach und Krach komme ich oben an.

An Abend braut sich ein Gewitter zusammen. Ich habe Glück und komme gerade am Gasthaus „Zur Damm-Mühle“ bei Lengefeld vorbei. Das Gasthaus wartet mit einer interessanten und zudem preiswerten Küche auf. Die Treppen zu meinem Zimmer komme ich kaum noch hoch. Die Muskeln in den Beinen schmerzen. Ein erster Tag mit Grenzerfahrung auf der Grenztour. Viel mehr geht nicht. Bis zur Landesgrenze nach Olbernhau ist es jetzt nicht mehr weit.

Die Damm-Mühle verabreicht ein umfangreiches Frühstück. Dann, zum Tagesauftakt, gleich vor der Haustür eine erste deftige Steigung. Das beruhigt sich zunächst wieder, bis Olbernhau verläuft die Straße moderat im Tal, ein schöner Radweg. Dann werden die Steigungen sehr ungemütlich. Ein Höhepunkt ist das Teilstück zwischen Satzung und Schmalzgrube, mit Gepäck nur unter Sturzgefahr befahrbar, für Mountainbikes mag es geeignet sein. Der Weg ist alsTrekking-Strecke(Kammtour)eine Zumutung. Zudem ist er mager bis gar nicht beschildert.

Dann wartet Jöhstadt mit der Steigung meines Lebens auf. Es beginnt mit einer moderaten Rampe und steigert sich im Ort zusehends auf zweistellige Steigungswerte an einer langen Geraden; damit man ja alles im Blick hat. Dazu gesellt sich noch Regen. Ich muss mich, wie schon lange nicht mehr, zusammenreißen, um hier nicht abzubrechen. Ab Jöhstadt beginnt ein unmöglicher Radweg neben der Bahn. An dem Radweg wird gebaut, zu befahren wäre lockerer Schotter, unmöglich mit Gepäck. Das gibt mir den Rest. Ich schaffe es trotz der schlechten Bedingungen bis Oberwiesenthal. Jetzt schmerzen sämtliche Muskeln in den Beinen, ich kann kaum noch Treppen steigen. Das Durchschnittstempo ist heute auf rund 11 km/h gesunken. Der gegenwärtige touristische Lichtblick ist die Touristeninfo in Bärenstein, die Kammtour war sein Rohrkrepierer, senkrecht hoch und wieder runter geht eben mit Trekking-Rad und Gepäck nicht.

Obwohl am Abend noch tiefe Wolken am Himmel stehen, strahlt heute die Sonne und trotz der gestrigen Anstrengungen bereitet der Anstieg auf den Fichtelberg keine Probleme. Ich halte mich dann strikt an meinen Vorsatz und meide die als Radweg ausgewiesenen Wanderwege. Es wird ein wunderbarer Tag. Die Steigungen sind leicht zu erklimmen und die Täler wunderschön. Und wenn sie noch abseits von Hauptstraßen liegen, bin ich fast allein und habe Hochgefühle auf dem Rad wie selten. Der Hormonhaushalt hat offenbar auf die Anstrengungen reagiert, Dopamin bis in die Haarspitzen.
In Markneukirchen suche ich nach einer Übernachtungsmöglichkeit. Unter 46 € ist nichts zu finden. Schließlich komme ich in Adorf in dem etwas morbiden Hotel Victoria unter. Wie man mir erzählt, muss es zu DDR-Zeiten bessere Tage erlebt haben. Ein Zimmer musste ein Jahr und länger im Voraus gebucht werden. Jetzt ist es grenzwertig. Ich bin trotzdem (das Frühstück wiegt so manches auf) zufrieden.

In Nentschau beginnt der Grüne-Dach-Radweg. Um es gleich zu sagen: der Radweg ist sehr abwechslungsreich, erfordert aber Ausdauer. Er ist, im Gegensatz zur Kammtour, gut beradelbar und verspricht unverdorbenen Genuss. Nicht dass es an Steigungen mangelt. Sie sind zunächst nur kurz, im Egertal aber so steil, dass ich ein paar Mal absteigen muss. Sonst hebt das Vorderrad ab.

Ich übernachte in Waldsassen. Dort erzählt man mir, dass hier „Willi“ zahlt. Ohne näher nachzufragen, wie das geht, verziehe ich mich auf mein Zimmer, stecke mir die ausliegenden Ohrenstöpsel in die Ohren und verbringe, wegen des Schwerlastverkehrs, eine etwas unruhige Nacht.

Klar ist, dass ich auf den Bocklradweg will. Er ist Bayerns längster Bahntrassenradweg und er wird als Bayerns schönster Radweg angepriesen. Ansteuern will ich ihn über den Waldnaabtal-Radweg. Das geht zunächst in die Hose, ich lande in Plößberg und bewege mich im Kreis. Schließlich fahre ich auf die B 15 und entlang dieser Straße nach Neustadt an der Waldnaab. Der Bocklradweg ist dann auch gleich gefunden. Es ist ein herrlicher Radweg mit sanften Steigungen, der durch eine pittoreske Landschaft führt. Trotz der erdrückenden Hitze komme ich gut voran. In Waidhaus finde ich tatsächlich einen kleinen, aber feinen Campingplatz, direkt am Schwimmbad. Mit 5 € ist alles bezahlt. Auch das Essen in einem Lokal ist reichlich und preiswert. Heute konnte ich mich etwas erholen, es waren keine wirklich langen Anstiege dabei.

Auch der nächste Tag wird ein guter Tag und das beginnt schon beim Frühstück. Endlich wird mal Rührei angeboten. Zum Mittag esse ich bei einer Metzgerei drei Würstchen zusammen mit einem Brötchen. Am Nachmittag gibt es dann noch Kaffee und Kuchen.

Radfahrtechnisch ist der Tag Routine, bis Eslarn fahre ich noch auf dem Bocklradweg, dann wieder auf dem Günes-Dach-Radweg und der Bundesstraße bis Cham. Zuletzt ist es eine kleine Regenfahrt am Baggersee bei Cham vorbei. Zum Baggersee gelangt man nur durch Europas schmalste Raddurchfahrt, das Nadelöhr meiner Radtour. Fettleibige sind hier ausgesperrt. Es ist unheimlich heiß heute. Ich trinke so um die vier Liter. Trotz der Hitze sind bei mäßigem Tempo die steilen Anstiege locker zu machen, allerdings sind sie auch nicht allzu lang.

Was für ein heißer Sommerabend beim Bäckerwirt in Chamerau. Zuerst vermittelt er mir ein Zimmer für 20 €. Dann serviert er für 12 € Leber, Bratkartoffeln, Salat und ein Radler-Bier, das alles bei schrecklicher Traditions-Musik. An meinen Tisch setzen sich ausgerechnet die Schönheiten des Dorfes und wechseln sich im Laufe des Abends auch noch ab. Bevor es dunkel wird verlasse ich das Lokal und lege mich glücklich ins Bett.